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LES GRANDS FOURS
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LES GRANDS FOURS

Nachdem Milena Aguilar sicher an die hundert kleinformatige „Petits Fours“ auf etwas weniger als zehn Quadratzentimeter gemalt hat, in nahezu Originalgröße, leicht als Appetitanreger für die Konfektindustrie zu verstehen, sind die Törtchen nun explodiert. Auf gut einem Quadratmeter, mit zupackendem Temperament, getrost knallig, farbig auf die Leinwand aufgetragen, verrichten sie nun einen ganz anderen Dienst an der Verführung. Hier geht es nicht mehr darum, den Mund wässrig zu machen, hier wird womöglich zu einer Revolution aufgerufen. „Frozen Love!“ „Chocolate Devil!“ „Heart Of Happiness!“ wird da proklamiert und es werden Glückwünsche und Wunder reklamiert. Die Törtchen sind zu krakenartigen Monstren mutiert. Immer gleich aufsichtig, frontal dem Betrachter zugewandt, würden sie ihm am liebsten gleich ins Gesicht springen und da ihr, wie auch immer geartetes, jedoch sicherlich äußerst klebriges, Werk vollbringen. Der uns täglich umgebende Wahnsinn des Konsumismus, den wir - übersättigt und vom Lärm erschöpft - schon gar nicht mehr wirklich wahrnehmen, wird hier durch eine gezielte Verschiebung der Proportionen wieder sichtbar gemacht. „Bigger Than Life“ heißt ein berühmter Film von Nicholas Ray aus dem Jahre 1956, in dem James Mason als tablettenabhängiger Lehrer mit seinen extremen Gefühlsschwankungen nicht mehr in die bürgerliche Beschaulichkeit seiner Familie passt, eben alles größer, als das profane Leben wahr nimmt. Der Film ist im Grunde eine Metapher über das Kino an sich; aus einer Zeit, wo Leben und Fiktion tatsächlich noch auseinander zu halten waren. Diese Grenze ist heute bekanntlich mehr und mehr verwischt und Milena Aguilars Monstertörtchen erinnern uns nachdrücklich daran. Sie sind nicht mehr nur ein Abbild ihrer Vorlage, sie sind ein brüllender Kommentar zum uns tagtäglich umgebenden „Kapitalistischen Realismus“, der es darauf angelegt zu haben scheint, das Gefühl für Relationen und Perspektiven zu zerstören und möglichst flächendeckend vermitteln will, dass nur noch absolutes Glück oder aber – als die Kehrseite der Medaille – absoluter Schrecken gültige Lebensformen sind.

Marc Ottiker