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Die Malerei und das Filmemachen
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Auf den ersten Blick haben die Malerei und das Filmemachen nichts miteinander zu tun und Sie wundern sich sicher, warum hier ausgerechnet ein Filmemacher eine Rede über die Malerei der Milena Aguilar hält.

Doch die Filmemacher sind seit jeher von der Malerei – die es so ungleich viel länger gibt als das Kino – beeinflusst und inspiriert worden. Ohne die Malerei steckte unsere der Oberfläche und dem Schein verfallene Kunstrichtung womöglich noch tiefer in den Kinderschuhen, als sie es ohnehin schon tut.

Den Umgang mit Licht haben wir uns von Carravagio oder den holländischen Meistern abgeschaut, die richtige Wahl von Bildausschnitten, die dramatische Inszenierung verdanken wir der Barockmalerei und ohne die Renaissancemaler würden immer noch maskenhaft unwirkliche Abziehbilder von Figuren über die Leinwand geistern, was im zeitgenössischen Mainstream-Kino jedoch zusehends wieder der Fall ist.

Gleich nach der Erfindung des Kinos suchten seine Gestalter die Nähe der damals aktuellen Malerei. Denken wir nur an die Zusammenarbeit von Bunuel und Dali in dem surrealistischen Meisterwerk "Ein andalusischer Hund" oder Dziga Vertows Verehrung für Kandinsky. Später hat Stanley Kubrick mit speziellen, von der Nasa entwickelten Objektiven den BARRY LINDON gedreht, nur um in Innenräumen bei echtem Kerzenlicht ohne Scheinwerfer drehen zu können um damit dem Stil der Malerei des 18. Jahrhunderts – der Zeit in der der Film spielt- nahe zu kommen. Oder denken wir an Wim Wenders Verehrung von Edward Hopper, der er in seinem jüngsten Film freien Lauf lässt. Nein, wir Filmemacher schmiegen uns gerne bei der Malerei an.

Umgekehrt hat sich die Malerei durch das Kino verändert. Von Edward Hopper bis zur Pop Art, die ohne die Mythen des Kinos gar nicht denkbar wäre. Das Kino ist vielleicht sogar Wegbereiter der Moderne in der Malerei.

Wenn ich nun Milena Aguilars Landschaften betrachte, fallen mir auch Filme ein. Ich sehe Antonioni, der Landschaften als Spiegelungen der inneren Verfassung seiner Figuren benutzte und sie dafür stark veränderte, zum Beispiel farbige Früchte grau übermalen liess. Oder Jean Renoir (ja, der Sohn des Malers August Renoir), der seine Charaktere in den Landschaften impressionistisch einbettete, oder Terrence Malick, der den Menschen als irritierenden Fremdkörper in die Natur verpflanzt. In Aguilars in Öl gegossenen Landschaften tauchen keine Menschen auf, jedoch sind die Spuren von ihnen allgegenwärtig. Vom Hochhaus bis zum Rettungsring. Es sind von Menschen berührte Landschaften. Hochhäuser gehören da genauso dazu wie Kornfelder oder Fernsehtürme.

Man bekommt den Eindruck, diese Bilder wären das, was ein zufällig vorbei gekommener Passant eben gerade sieht. Und die Tatsache dass Milena Aguilar den ganzen Sommer über tatsächlich in diesen Landschaften steht und sie mit Hilfe von Sitzkiepe und Feldstativ auf die Leinwand bannt, verstärkt diesen Eindruck nur. Es sind also Menschen, die diese von Menschen gestalteten Landschaften betrachten. Vielleicht diejenigen, die in den anderen Bildern – den Schnee- und Badebildern – selbstvergessen ihre Freizeit gestalten? Selbstvergessen oder aber ganz bei sich selber…

Milena Aguilars Blick ist ein subjektiver, sie lenkt den Blick auf das Alltägliche, das "nicht Besondere". Da wo Unsereiner achtlos weitergeht, bleibt sie stehen und baut ihre Staffelei auf. Damit holt sie uns den vom Gewohnten abgestumpften Blick auf unsere Heimat wieder ins Bewusstsein. Fast wirkt diese Heimat nun exotisch. Fragen bauen sich auf: Wem gehört eigentlich diese Fabrik? Wer bestellt die Felder? Für wen? Wohin führt dieser Weg? Soll ich ihn einschlagen? Gerade die Abwesenheit von Menschen auf diesen Bildern, die Reduktion auf die Spuren ihrer Arbeit, stellt sie umso mehr in den Mittelpunkt. Wo sind sie denn; die Menschen?

Wir finden sie in einer Art ewigem Sonntag wieder. Im Schnee, beim Baden.

Menschen in Bewegung, Menschen die sich entspannen, die sich einer seltsam zeitlosen Ruhe hingeben. Diese Bilder zelebrieren die freie Zeit in einem ähnlichen Sinn, wie früher der arbeitende Mensch in der Malerei gewürdigt wurde.

Wir haben hier also menschenleere Landschaften, die die Spuren menschlicher Arbeit (vom Kornfeld bis zum Fernsehturm) tragen und wir haben Darstellungen von badenden und spazierenden Menschen, die offensichtlich ihre Freizeit verbringen.

In einer Gesellschaft, die gerade dabei ist, sich von dem Ideal der Vollbeschäftigung zu verabschieden und Werte wie Fleiß und Leistungssteigerung neu definiert werden müssen, eröffnen diese Bilder einen überraschenden – und durchaus subversiven- Ausblick in die Zukunft. Nicht die Arbeit oder die Pause nach getan Arbeit wird verherrlicht, sondern der Zustand der Freizeit an sich, die damit verbundene Kontemplation und Entspannung stehen im Mittelpunkt dieser Malerei. Wo früher die Pause den Fluss der Erwerbstätigkeit angenehm unterbrochen hat, wird in Zukunft die Erwerbstätigkeit den Fluss der freien Zeit angenehm unterbrechen. Milena Aguilars Bilder sind erste Zeugnisse dieses Quantensprungs der modernen Zivilisation.

Marc Ottiker, 2005